Dienstag, 14. Juni 2016

Matador – von der Kunst des Tötens





von Torodora Gorges


Wer leidet mehr? Das Publikum oder der Torero?
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Ob eine faena gekrönt wird mit einer Puerta Grande, bleibt bis zur letzten Minute – dem „Augenblick der Wahrheit“ – unvorhersehbar. Es hängt von der Sicherheit ab, mit dem die estocada – der Degenstoss – den Stier trifft.  Die  Handhabung des Degens missrät häufig. Der Stier stirbt erst nach einem zweiten Versuch, den Degen richtig zu platzieren. Manchmal missglücken auch  mehrere Anläufe. 

Das widerfährt auch Morante immer wieder. Man sagt, dass das Töten nicht seine Sache sei.  Man beruft sich auf Hemingway: „Nur selten (ist) ein großer Künstler mit der capa und der muleta ein Töter. .... Ein großer Töter muss gern töten..... Der wahrhaft große Töter muss ein Gefühl für Ehre haben und ein Gefühl für Ruhm, welches das des gewöhnlichen Stierkämpfers weit übersteigt. In anderen Worten, er muss ein primitiverer Mensch sein (1). Seine Überlegungen zum Tod am Nachmittag von 1932 evozieren nahezu  Nietzsches Moral „Jenseits von Gut und Böse“. Ich wüsste gerne, was Morante de la Puebla darüber, aber auch über das folgende Zitat von Hemingway denkt: „Der wahrhaft grosse Töter... muss den Augenblick des Tötens als spirituelles Hochgefühl empfinden ......(und) eine der grössten Freuden dabei ....ist das Gefühl der Rebellion gegen den Tod, das man erlebt, wenn man ihn verursacht.
Für die aficionados ein unschöner Moment, für den matador ein Alptraum ...
... wenn die estocada nicht gelingen will.
Die Gefühle der aficionados decken sich vermutlich ebenso wenig wie die der matadores und toreros mit den  Äusserungen Hemingways, der sich so eingehend dem Verherrlichen des Tötungsaktes widmet.

Der 21. Mai 2009 in Las Ventas gehört zu den Höhepunkten von Morantes diesjähriger temporada. Las Ventas se rinde a Morante“ (2), schreibt der Rezensent. Das Publikum dankt Morante mit „Ehrerbietung und Hingabe“. Alle Einzelheiten dieser kreativen, künstlerischen Improvisation, alle suertes mit capa und muleta werden – wie man es nun schon kennt – in Form einer Eloge noch einmal in Worte gebannt: Epifanía, Pasmo, Milagro!
Auch dieses Mal blieb ihm die Puerta Grande von Las Ventas verschlossen. 

José Antonio Morante büsste die zweite Trophäe wegen der verfehlten estocada ein. Seine Zuschauer, die „normalen Sterblichen“, leiden mit ihm, dem genio, lassen ihm mit ihrer extatischen Freude Trost zukommen. Sie spüren seine sowohl seelische wie köperliche Erschöpfung und Leere. Die Filme in Youtube zeigen uns: Am Beginn der Ehrenrunde, nach Übergabe der Trophäe, laufen Morante die Tränen über das Gesicht. Der Zuschauer projiziert die eigene Enttäuschung auf den torero, der sichtbar leidet. Ungewiss, ob es ein Leiden ist  unter dem Zustand der Erschöpfung oder unter dem Gefühl, sein Ziel, die Puerta Grande von Las Ventas zu öffnen, wegen eines pinchazo (einem Stich „daneben“) verfehlt zu haben? Da erst der zweite Degenstoss tödlich traf, verweigerte der Präsident die zweite Trophäe, die das Publikum temperamentvoll und gebieterisch einforderte.
Wenn der maestro Morante de la Puebla bei der estocada versagt,
und der momento de verdad für morantistas zum Alptraum wird.
Unter den anhaltenden Ovationen der Besucher in der Plaza weicht Morantes Traurigkeit   einem glücklichen Lächeln, das die Glücksempfindungen des Publikums wiederspiegelt  und bestätigt. Sogar das strenge, kritische Publikum aus dem Tendido 7 jubelte Morante vorbehaltlos zu.

Augenblicke der Wahrheit

Die Frage stellt sich: Wer leidet mehr darunter, wenn sich die Puerta Grande – wie in diesem Fall – wieder nicht für den verehrten torero öffnet? Der matador der die Aufgabe zu töten nicht optimal erfüllt hat? Oder das Publikum, dem die Gelegenheit genommen ist, den „angehimmelten“ maestro emphatisch zu feiern und sich selbst in ihm zu feiern, sich durch ihn erhaben fühlen?

Manche enttäuschten aficionados versuchen, dem Akt der Tötung am Ende des Rituals eine geringere Bedeutung, dem „triumphierenden Tod“ (3) weniger Wert beizumessen. Nachdem sie Morantes  suertes – vor allem die mit der capa – genossen und sich an ihnen berauscht haben, würden sie in solchen Situationen vorziehen, den Stier am Leben lassen. Denn schon ein pinchazo kann die Puerta Grande vereiteln!

Hierzu passt ein Zitat aus dem alten Spanienbuch von W. L. Kristl: „Die Stierfeste sind nicht ganz zufällig mit regionalen und religiösen Feiern verbunden. Wenn der Glaube an diesen Geist schwindet, löst sich der Bann, den er auf den spanischen Menschen ausübt. Wenn sich der kultische Charakter des Festes verflüchtigt, wird aus der barbarischen Messe eine Einrichtung des grossstädtischen Vergnügungsbetriebes. Die Arena, eine gigantische Opferschale, die Blut und Tod dem heissen Himmel darbietet, verwandelt sich in ein Varieté-Theater, daraus die Seele des Mythos entwichen ist.“ (4)

Mario Vargas Llosa
Mario Vargas Llosas Beitrag (5) weist auf die Notwendigkeit der Immanenz des Todes im Ritual der corrida hin: „Der Stierkampf besitzt Elemente des Rituellen und der Improvisation. Er ist in manchen Augenblicken aufgeladen mit Religiosität, Mystik und einem Symbolismus, der die conditio humana widerspiegelt, – unser Leben existiert nur dank seines Gegenstücks, dem Tod.  Er fasst die Gefühle der zuschauenden Teilnehmer abschliessend zusammen: „In der schönsten Nachmittagssonne ausgetragen, erinnern uns die Stierkämpfe daran, wie unsicher unsere Existenz ist und wie wunderbar sie gerade aufgrund ihrer zerbrechlichen und vergänglichen Natur ist“.

Heidnische und christlich-religiöse Mythen treffen in der fiesta de toros zusammen, an entsprechenden Metaphern wird nicht gespart, um sie zu charakterisieren. Die Sehnsucht der aficionados nach  Hingabe, Hingebung – Erhebung, Erhabenheit trägt religiöse Züge. Eine junge morantista bekannte: „Morante beim Agieren mit dem Stier zuzusehen,  ist wie mit Gott reden, und Gott antwortet!
Eine plaza de toros und eine Kirche, zusammen als eine Einheit.
Ähnlichkeit nicht nur von äusseren Optik, sondern auch im "inneren" Ablauf.
In säkularisierter Zeit stellt die corrida de toros  ein Religionsäquivalent dar. Die Ähnlichkeit der tradierten Zeremonien in Ablauf und Symbolik der Handlungen mit der katholischen Messe sind unverkennbar. Hier wie dort wird das Profane durch sakrale Rituale negiert,  von der spezifischen Kleidung bis zu den feierlichen Weihen der Amtsübernahme als Priester oder matador de toros.  Die corrida als ein „leibhaftiges Ritual (6), den Opferriten nahe,  lässt diese religiöse Vereinnahmung zu. Zwar zehren moderne Massen-veranstaltungen – ob Fußballspiel oder Popkonzert – ebenfalls von der Idolisierung ihrer Stars. Doch es fehlt diesen kulturellen Grossereignissen die vergleichbare mythologische Tiefe.
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Quellennachweise:

(1) Ernest Hemingway, Tod am Nachmittag, Hamburg 1967, S. 198
(2) Titel der Rezension von Paco Aguado in 6TOROS6 Heft Nr. 778
(3) Ein Begriff aus: Wilhelm Lukas Kristl, Kampfstiere und Madonnen, Hamburg 1954
(4) a.a.o., Kristl, S. 110
(5) s. SZ, Fußnote 73
(6) G. Schmid-Noerr, A. Eggert, a.a.o. S. 145
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Textauszug aus dem Buch:

Torodora Gorges
Morante de la Puebla, Torero

Der spanische matador de toros José Antonio Morante Camacho verkörpert gegenwärtig die Kunst der tauromaquia auf ganz besondere Weise. Das Buch handelt vom Leben und Werdegang dieses toreros. Die erste Biografie über einen Stierkämpfer einer deutschen Autorin!

Hier gibt es eine Leseprobe.

Link: Morante de la Puebla, Torero - Portrait eines Künstlers
ISBN-13: 978-3- 8391-5770-1