Montag, 8. Februar 2016

Der deutsche Torero

In der Tat, es gab auch mal einen deutschen Stierkämpfer in Spanien
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von Philip de Málaga


Man hat ja schon von asiatischen, afrikanischen und slawischen toreros gehört, und in Europa ordnet man diese Beschäftigung vorläufig den Franzosen, Spaniern und Portugiesen zu. Und was ist mit Deutschland? Nun, die toros sind da erst mal laut Gesetz verboten. Und somit gibt dort verständlicherweise keine plaza de toros und eben auch keine festejos taurinos.

Aber es gibt in Germanien sehr wohl eine afición a los toros, mit absolut steigender Tendenz. Es bekennen sich immer mehr als aficionados. Sogar lassen sich auch einige toreros de salón und aficionados prácticos entdecken, wie zum Beispiel SfA-Mitarbeiter Dominik Sachsenheimer. So liegt es doch so langsam an der Zeit, dass sich irgendwann mal ein germanischer Siegfried ins ruedo traut. Aber um einen zu finden müssen wird erst einmal in die Vergangenheit schauen. Genau vierzig Jahre zurück. Da gab es jemanden aus Deutschland der auszog, um Stierkämpfer, um ein richtiger matador de toros zu werden.

Gross, blond und deutsch, so entsprach er gar nicht dem Vorbild eines toreros. welche sich meistens aus tiefster Armut und mit grössten Durchhaltevermögen hocharbeiten müssen.  Viel mehr noch. Er stammt von edler Herkunft, ist Baron, hat in Oxford studiert und sogar als Doktor der politischen Wissenschaften abgeschlossen. Sein Name: Michael Rüdiger von der Goltz. Doch wie kommt nun ausgerechnet jemand so gebildeten Ranges aus einem märkischen Adelsgeschlecht, wo eigentlich schon seit dem 13. Jahrhundert Generäle und Offiziere das Sagen haben, zur mundo de los toros? Gar ins ruedo einer plaza de toros um gegen gefährliche toros anzutreten?

Michael-Rüdiger von der Goltz
Die Begegnung mit dem Tod

Eigentlich ist Miguel von der Goltz in der Schweiz geboren, hatte aber einen deutschen Pass. Danach lebte er in Uruguay und Guatemala und nach seinem Studium in Oxford zog es ihn nach México. Dort hat er sich 1968 einer Studentenbewegung angeschlossen, welche sich für neue Landreformen einsetzte. Allerdings gingen sie dabei relativ mit rebellischen Mittel vor. So kam es, das er wegen seiner Beteiligung an jener Studentengruppe eines Tages in der Ortschaft Cuernavaca von einem speziellen Suchkommando geholt und auf einen Platz vor ein Erschiessungskommando gestellt. Der Baron sah seinem tödlichen Ende entgegen, und war davon überzeugt jetzt sterben zu müssen. Dabei ärgerte er sich auch ein wenig, dass er bis zu diesem Zeitpunkt keinen einzigen Lebenstraum hatte erfüllen können. Doch lange musste er nicht mehr hadern, denn das Todesurteil stellte sich noch rechtzeitig als ein Irrtum heraus.

Nun ein mögliches Sterben vor den Augen gehabt zu haben, veränderte seine innere Einstellung zum Tod. Zum einen zeigte es die Besonderheit zum Überleben auf und auf der anderen Seite trieb es ihn an viele Dinge nicht mehr zu versäumen. So begegnete der Oxfordstudent langsam der mundo taurino. Sehr langsam.

Seine Zeit als torero

Obwohl aus nicht gerade armen Hause beschloss er den Weg der einfachen novilleros einzuschlagen. Unter dem Künstlernamen Miguel Rodrigo zog er von Fest zu Fest und hoffte für irgendeine capea, novillada sin caballos, oder sonstiges festejo taurino einen Vertrag zu bekommen. Seine Mission schien klar, dem Tod zu begegnen um ihm dann wieder entfliehen zu können.

Um nicht ganz die Form zu verlieren, übte er auch heimlich nachts auf den dehesas der ganaderías. Dort schnitt er dann am Ende den Tieren den Schwanz ab, um den ganaderos ein Zeichen zu geben, das mit diesem Tier schon mit muleta oder capa gearbeitet wurde und er für eine corrida somit unbrauchbar geworden ist.

 Mit seinem Freund und ebenfalls novillero Rafael übt Miguel heimlich bei Nacht.
In den folgenden fünf Jahren gelang es dem deutschen torero an vierzig novilladas teilzunehmen. Teilweise unter erbärmlichen und gefährlichen Umständen. Denn zum einen gab es öfters nicht mal eine richtige plaza de toros, und die Marktplätze wurden einfach mit Balken, Barrikaden, Tischen oder ähnlichem verschlossen um eine plaza, gar ein rundes ruedo für die novillada zu kreieren, zum anderen waren die Tiere, die novillos, gegen die sie antraten nicht ganz ungefährlich, denn es waren jene übriggebliebenen der ganaderos, wo sich die professionellen toreros weigerten diesen gefährlichen Tieren entgegen zu treten.

Miguel Rodrigo entwickelte sich zu einem besonders mutigen und waghalsigen torero welcher die Begegnung mit dem Tier nicht scheute. Im Gegenteil er suchte die Nähe. Er hatte keine escuela taurina besucht, sondern lernte alles auf der Reise von anderen taurinos. Sein Stil war spektakulär. Da war er schon eher ein tremendista, Also seine Arbeit mit den novillos konnte nicht unbedingt den klassischen crítico taurino überzeugen, aber die Massen. Wenn er zum Beispiel vor dem novillo stand, die muleta beiseite hielt und das Tier auf die Hörner küsste. Auch den estoque, mit welchem er den entscheidenen Todesstoss im momento de la verdad ausführte schien der Stierkämpfer aus Deutschland zu beherrschen.
Miguel Rodrigo bei der estocada
Jene fünf Jahre waren für Miguel keine Jahre um reich zu werden. Obwohl er in Sevilla im Viertel Santa Cruz, am Plaza Doña Elvira eine Acht-Zimmer-Wohnung plus Dachtrasse unterhielt, welche er an Touristen vermietete.
Sevilla: Der Platz Elvira, wo der deutsche torero sein nobles Domizil hatte
Miguel war der Meinung, wenn einer matador de toros werden will und vor der alternativa steht, der sollte schon Grosszügiges vorweisen haben. Auch wenn er dafür hungern muss. Denn bei seinen Auftritten hatte er damals gerade mal 39.000 Peseten bekommen. Wenn überhaupt. Das sind umgerechnet 500 Euro. Nach Abzug aller Kosten, seiner cuadrilla und Emilio, sein persönlicher mozo de espada  blieben ihm selbst keine 50 Euro mehr übrig. Ohne die Hilfe seiner Freunde reichte das kaum zum überleben.

Der deutsche torero auf dem Weg zu einer novillada. Hinter ihm Emilio sein mozo de espada
Aber dann kam sein grosser Tag. In Pozuelo de Alarcón, einem Vorort der spanischen Hauptstadt Madrid, hatte er nicht nur seinen grossen Auftritt, sondern auch eine wichtige Begegnung. Der presidente der novillada war der Polizeichef und als empresario trat der Schlachter der Gemeinde auf. Letzter hatte nichts zu verlieren, denn zum Ende hatte er ja immer noch das Fleisch der novillos zum Verkauf. Auch hier gab es keine richtige plaza de toros und am Mirador wurde für dieses festejo taurino eine eigene plaza improvisiert.

Wo es in Pozuelo de Alarcón die Stiere gab.
Das besondere an diesem Tage war ein prominenter Gast aus der mundo de los toros. Aus Córdoba kam Don Rafael Sánchez Ortiz angereist, in der mundo taurino als "Pipo" bekannt. Denn er war es, der dem legendären und berühmten matador de toros Manuel Benítez "El Cordobés" als sein apoderado und persönlicher Begleiter zu Weltruhm verhalf. Nach Rücktritt seines Schützlings zog sich auch der apoderado aus dem Geschäft mit den toreros zurück und verprasste geradezu sein ganzes Vermögen an den Spieltischen der Casinos auf der ganzen Welt. In der Zwischenzeit kehrte El Cordobés wieder zurück in die plaza de toros und nach einer gewissen Zeit war Don Pipo pleite. Nun war es für ihn an der Zeit, einen neuen torero zu suchen, um ihn an die Spitze des escalafóns zu bringen. Und da hörte er von dem mutigen jungen blonden Mann aus Deutschland, der mit seinen Tieren genauso furchtlos arbeitete wie El Cordobés.

Also reiste der Manager aus der Welt der toreros nach Madrid um Miguel Rodrigo zu sehen. Und was er zu sehen bekam liess ihn wohl begeistert aufschreien, "Dieser Deutsche ist ja viel besser als El Cordobés!".  Er war so angetan vom toreo des adligen novilleros aus Alemania dass er sofort begann, in der Mitte der novillada Pläne zu schmieden. Diesen Mann würde er ganz gross rausbringen. Er soll seine alternativa, den Ritterschlag zum richtigen matador de toros, in der grössten und wichtigsten plaza de toros in Europa bekommen, in Las Ventas, und als padrino wird natürlich sein "Freund" der berühmte maestro  Manuel Benítez El Cordobés Pate stehen. Und einen neuen Künstlernamen hätte er auch schon für ihn: Miguel de Alemania.

Da stand er nun, der neu gekrönte Miguel de Alemania und betrat für seinen zweiten novillo die improvisierte plaza bei Madrid. Noch mutiger, noch näher, noch mehr angespornt, und wieder mit suertes, wo das Publikum einfach nur die Luft anhalten musste. Purer tremendismo für die Karriere. So nah dran war er noch nie. Wieder einmal küsst er die Hörner und dann geschieht es. Der novillo wirbelt herum und schleudert den torero in den arena.  Lautes Raunen von den Rängen. Schleunigst eilen die banderilleros herbei, lenken den novillo mit den capas von Miguel weg und tragen ihn in die enfermería, besser gesagt zum Esstisch des anliegenden Altenheims wo er von einem veterinario behandelt wurde. Eine Prellung an der Brust und eine kleine cornada am Unterleib sorgten für Entwarnung.

Wenige Tage später fahren dann der zukünftige matador de toros Miguel de Alemania und sein apoderado Don Rafael Sánchez Ortiz zu einer richtigen corrida de toros, wo El Cordobés antrat. Dort besuchten sie den maestro vorher in seinem Hotelzimmer, wo dieser sich gerade für seinen Auftritt vorbereitete. Dem Anliegen, für Miguel der padrino zu sein hatte er nichts entgegen zu setzen. So schien der Karriere des ersten deutschen matador de toros nichts mehr im Wege zu stehen.

Miguel de Alemania und Pipo bei El Cordobés, wo der deutschen torero von ihm
die Zusage der Patenschaft für seinen Ritterschlag zum matador de toros  erhielt.
Aber es kam anders

Denn von nun an verlor die mundo de los toros die deutsche Hoffnung aus den Augen. Es hiess er sei nach Mexiko geflogen um dort sich vorzubereiten. Aber man weiss eigentlich gar nichts. Auch im spanischen COSSÍO ist er nicht genannt. Es gibt Quellen die zu berichten wissen, dass Michael von der Goltz wohl in einem amerikanischen Film mitgespielt habe. Alles nur Vermutungen bis hin zur letzten Annahme. Da heisst es, er sei auf einer Insel im Mittelmeer gewesen und morgens schwimmen gegangen. Aber nie wieder zurückgekehrt.

Und so wartet die deutsche afición noch heute auf den torero aus ihren Reihen.