Mittwoch, 24. April 2013

Wenn der Moment zur Ekstase wird




von Philip de Málaga


Morante und die capa:
Eine Kostprobe, gleich einem Tropfen edelstem Wein für das Publikum in Sevilla
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Sevilla, die andalusische Hauptstadt ist anders. Nicht wegen ihrer Bauten, den Mauern und der Geschichte, vielmehr sind es die Menschen, welche die Geschicke dieser mediterranen Metropole lenken und formen. "Así soy, así somos. Sevillanos. ¿Por qué? Sevilla nos eligió, para ser sus paisanos" (Ich bin, wir sind. Sevillaner. Warum? Sevilla hat uns ausgesucht, um die Bewohner zu sein), so lesen wir in einer Poesie von Manuel Lamprera. Sevilla ist anders, weil die Sevillaner es anders sehen. La mirada, der Blick, die daraus entstehende Erkenntnis, dass unterscheidet sie von den Nicht-Sevillanern. La mirada, der andere Blick, das gilt auch für die toros.


La Real Maestranza de la Caballería de Sevilla, sie ist nicht etwa nur eine plaza de toros, sondern viel mehr, das taurinische Herz von Andalusien. Das Wimbledon des toreo. Denn das Publikum sucht den Moment der Wahrheit schon vor der estocada. Nicht waghalsige Manöver sind gefragt, keine hektischen Aktionen werden gesucht, so wie eine a porta gayola, ohne Frage ein mutiges Manöver, aber mit einer eher unruhigen Ausführung schafft sie damit nicht den Weg zum duende. Wenn die Gänsehaut wie eine ola (Welle) durch die tendidos schweift, könnte es dem matador gelingen hier zu triumphieren um das ruedo durch die puerta grande zu verlassen. Damit gehört er zu den ganz grossen toreros dieser Welt. Und wer erst einmal die puerta del príncipe öffnet, dem ebnet sich der Weg in den Olymp der tauromaquia.

Eine Woche nach der semana santa beginnt die berühmte feria taurina von Sevilla. Die berühmtesten matadores der mundo de los toros geben sich ein Stelldichein um die Gunst des sevillanischen Publikums zu erringen. Keine leichte Aufgabe, denn es liegt nicht nur an dem maestro selbst sondern das Ergebnis erschliesst sich aus dem Zusammenspiel zwischen toro und torero. Das Wetter und die Laune des Publikum tragen ebenfalls ihren Teil dazu bei.

Auf dem Weg in den TAURO OLYMP: El Juli
(Foto: mundotoro)
Die feria taurina 2013 von Sevilla gehört nun der Vergangenheit an und die Sieger stehen fest.

Bester matador: El Juli
Beste faena: El Juli und Manolo Escribano
Bester rejoneador: Diego Ventura
Bester banderillero: Juan José Trujillo (cuadrilla: José María Manzanares) und David Adalid (cuadrilla: Javier Castaño)
Bester picador: José Antonio Flor  (cuadrilla: Antonio Nazaré)
Beste ganadería: Miura

Und, fehlt da nicht irgend jemand?

Stimmt, zwar nur einige wenige Sekunden, aber man es es gesehen, es war spürbar. Sozusagen eine Momentaufnahme. Ein kurzer Moment. Aber dem sevillanischen Publikum ist diese kurzweilige emotionale Spannung nicht entgangen. Ein Manöver, ein halbes Manöver, eine media veronica  und die Gefühlswelt der tendidos vibrierte.

Morante de la Puebla, der Bohéme
(Foto: mundotoro)
Wer macht denn schon so etwas? Die Frage scheint nicht ungerechtfertigt. Doch wer Sevilla kennt wird gleich vermuten, das kann nur einer sein. Der Bohème der tauromaquia. Obwohl noch aktiv, schon eine Legende unter den toreros artistas, der Künstler aus einem Dorf bei Sevilla. Wir sprechen von Morante de la Puebla.

Was ist geschehen? Eigentlich war es ein irgendwie ein bedeutungsloser tarde de toros. Drei matadores, fünf ovaciónes und ein silencio. Das klingt nicht vielversprechend. Auch das Genie, wie er hier und da gelegentlich beschrieben wird, man kann nicht gerade behaupten dass er sich überarbeitet hätte. Mehr routinemässig spielt er sein Programm runter, wobei er natürlich es versteht mit der capa zu überzeugen. Das ist sein Metier, sein Können, sein embrujo.

Media veronica
von Morante de la Puebla
(Foto: mundotoro)
Wir sind im ersten tercio. Morante führt eine quite durch, dass heisst er dirigiert den toro vom picador weg. Und in der Tat geschah nicht mehr als dies, er führte seinen toro einfach nur, die capa mit runden Bewegungen schwingend, weg vom picador. Mit dem Rücken zur barrera bleibt er plötzlich stehen, und fordert den Stier heraus. Der toro zögert nicht anzugreifen und Morante führt die capa, nein, er befiehlt ihr mit aller Langsamkeit um seinen Körper herum zu gleiten. Gleich einem fliegenden Teppich schwingt sich mit temple die capa um ihn herum. Der toro passiert ihn auf der linken Seite und die capa wirkt wie ein Bindeglied zwischen Mensch und Tier, zwischen torero und toro. Der angeborene Zusammenhalt, die symbolische Darstellung der Zugehörigkeit. Ein Moment der Einheit. Die capa verschwindet hinter dem Rücken von Morante, der toro rennt ins Leere, dreht sich um neunzig Grad nach links und bleibt stehen.

Gerade mal drei oder vier Sekunden sind vergangen, das pure duende erreichte in einem Bruchteil einer Sekunde die tendidos. Der Moment war da. Man hat ihn gesehen, gespürt, die Luft blieb für drei Sekunden einfach stehen, ein Augenblick auf den man den ganzen Nachmittag schon gewartet hatte. Kein Geschnörkel, keine Eile, ein Manöver mit aller Kunst der Langsamkeit durchgeführt, so sicher, als ob nichts einfacher wäre als dies. Das Eis war gebrochen, und der maestro wollte zeigen, wie man sie vorführt, die veronicas, doch leider schien der toro andere Pläne zu haben.


Auch die spanischen Medien haben ihn mitbekommen, jenen magischen Moment der Apotheose. In El Mundo schrieb man, dass ihm diese media veronica mit grosser Sicherheit die Tür zur corrida goyesca in Ronda geöffnet hätte. Morante in Ronda alleine gegen toros 6. Mehr als ein Gerücht? Da spricht einiges dafür. Zum Beispiel, dass Morante den Stier in Sevilla dem empresario und ex-matador de toros Francisco Rivera Ordoñez gewidmet hatte.

Morante widmet einen Stier Fran Rivera Ordoñez
(Foto: mundotoro)
Auch die Tatsache, dass die letzte corrida goyesca mehr oder weniger ein Reinfall war und kaum noch wahre aficionados im September dorthin pilgerten. Keine Frage, keiner scheint besser geeignet für eine solche goyesca wie Morante. Kaum ein torero vermag jene künstlerischen und auch ein wenig anderen Dingen so zu vermitteln wie er. Der Bohème in Ronda, ein no hay billetes scheint wieder gesichert zu sein ... wenn es denn was wird.

 Morantistas können sich vielleicht auf Ronda freuen, wenn sie denn an entradas kommen
Zurück zu Sevilla. Morante de la Puebla hat die afición an seinem Können schnuppern lassen. Von der Flasche des köstlichen Weins, des edlen Tropfens der tauromaquia, ihnen nur einen kleinen Schluck spendiert. Man solle ja geniessen, nicht nur alles einfach aufsaugen, sondern die wahren Momente der Ehrlichkeit, des duende, der Vibration erfahren und schätzen lernen.

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Morante de la Puebla - Torero, Portait eines spanischen Künstlers
Torodora Gorges, Books in Demand GmbH, Frankfurt am Main, 2010 
ISBN 978-3-8391-5692-6