Sonntag, 10. März 2013

Es lebe Europa und der Stier!





SfA mit Torodora Gorges


Torodora Gorges ist die erste deutsche Schriftstellerin die eine Biografie über einen spanischen matador de toros geschrieben hat. Ihre afición spiegelt sich auch auf ihrer Internetseite wieder wo es ihr wunderbar gelingt die Literatur mit den toros zu verbinden.  Als Kenner der Szene berichtet sie als Expertin bei SfA von den toros. So hatte sie das Glück José Tomás in Nimes im September letzten Jahres zu sehen und hat hier exklusiv ihre Eindrücke und Emotionen geschildert. Und heute stellt sie sich den Fragen von SfA.

SfA: Was ist das Besondere an der afición a los toros? Was begeistert den Zuschauer an den toros?

Torodora Gorges: Mich fasziniert besonders die  ritualisierte Begegnung von Leben und Tod, von Eros und Tanatos. Die Ästhetik dieses archaischen Schauspiels hinterlässt einen überwältigenden Eindruck. Im Idealfall verschmelzen die Protagonisten, der  Stier und der torero,  zu einer liebevoll anmutenden tänzerischen Einheit, die,  wie im heidnischen Opferritual mit der Tötung des Stiers ihr Ende findet.

Die kathartische Wirkung einer leidenschaftlich und ernsthaft ausgeführten corrida de toros gleicht der einer griechischen Tragödie ebenso wie der einer dramatischen  Oper von Giuseppe Verdi oder Richard Wagner.

Der sterbende Stier geht den anwesenden Menschen zu Herzen: dem torero ebenso wie dem Zuschauer, der das Sterben der Kreatur mit Ahnungen im Hinblick auf seinen eigenen Tod begleitet.

Das Erleben einer gelungenen corrida de toros ermöglicht synästhetische Erfahrungen, die im Zuschauenden Musik zum Erklingen bringen  mit  ähnlich  todessehnsüchtiger Wucht, die zum Beispiel eine späte Sonate von Schubert im Zuhörer auszulösen vermag. José Bergamín sprach von "la música callada del toreo", der stummen,  im Inneren des Menschen aufsteigenden "Musik für die Augen der Seele und das Gehör des Herzens". - Eine gute faena wird traditionell von einem Pasodoble begleitet. In Las Ventas wird diese Tradition prinzipiell nicht befolgt. Gelegentlich empfinde ich die Musikbegleitung als störend. Bei Auftritten von José Tomás habe ich es zum Beispiel in Barcelona öfter erlebt, dass das Publikum die banda de musica aufforderte, auf die Musik zu verzichten.

SfA: Ab wann hast du dich als aficionada de toros gefühlt und ab wann hast du es gespürt?

Torodora Gorges: In meiner Stundentenzeit konnte ich einige gute Stierkämpfe in Spanien besuchen. Trotz meiner Tierliebe und meines Widerstands gegen das Töten - Albert Schweitzers Aufsatz  "Ehrfurcht vor dem Leben"  hatte ich von Kindheit an verinnerlicht - faszinierte mich die fiesta de toros von Anfang an. Meine ambivalenten Gefühle, die ich auch heute immer wieder erlebe,  hielten mich in diesen Jahren  nicht von wiederholten Besuchen der corrida ab. 

Über lange Zeit spielten dann die toros keine wichtige Rolle mehr in meinem Leben, meine Faszination ruhte. Ich reiste viele Jahre später erst wieder nach Spanien. Dann aber nutzte ich sofort die Gelegenheit, eine corrida de toros am Ostersonntag in Las Ventas zu besuchen. Es war keineswegs eine außerordentlich beeindruckende corrida an diesem Nachmittag. Aber in mir wurde der Wunsch ausgelöst, mich aufs Neue mit dem Phänomen der tauromaquia auseinanderzusetzen, mehr zu verstehen von ihren historischen Wurzeln, den kulturellen Zusammenhängen und dem technischen Ablauf der corrida de toros

Ich war mir bewusst, dass mich die afición erfasst hatte.

In einem Madrider Antiquariat mit Bildern und Büchern zur Tauromachie traf ich auf zwei ältere Herren, die mich lobten wie eine fleißige Schülerin: "Sie sind eine gute afionada de toros". Sie hatten als Kinder auf den Knien von Manolete sitzen dürfen, da ihre Eltern damals um die Ecke ein Restaurant führten, in dem die toreros gerne zum Mittagessen kamen. Seither ist mir klar: Ich bin eine aficionada.
Torodora Gorges und der matador de toros Morante de la Puebla
SfA: Wie bist Du auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben? Nicht nur ein allgemeines Werk über die toros, sondern gleich die erste deutschsprachig geschriebene Biografie über einen spanischen matador detoros?

Torodora Gorges: Ich hatte angefangen, mir eine Bibliothek zuzulegen aus  Klassikern, die ins Deutsche übersetzt waren, wie Hemingway, Henry de Montherland, Blasco Ibánez. Es erschienen in den 90 er Jahren einige interessante neue Bücher zum Stierkampf auch in Deutschland. Ich nahm Spanisch-Unterricht, um auch Original-Literatur zu lesen. Ich wälzte den Cossío und andere Standardwerke, las Biografien  berühmter toreros. Viele spanische Dichter, die die Kunst der Tauromachie besangen, entdeckte ich.

Ich beschäftigte mich intensiv mit dem großen torero, Literaten und Mäzen Ignacio Sánchez Mejías, der 1934 an den Folgen einer Stierverletzung gestorben war. Federico García Lorca hat 1935 dessen Tod in der berühmten Elegie "Llanto por Ignacio Sánchez Mejías" beweint.
Ein eigenes Buch zu schreiben, daran dachte ich zunächst einmal nicht. Allerdings machte es mir Spaß, Eindrücke schriftlich festzuhalten, wie in einem Tagebuch. Die veröffentlichte ich auf meiner Homepage www.torodoro.de

Die toros, die fiesta de toros, sollte jenseits der spanischen  fiesta nacional  als eine Bereicherung Gesamteuropas verstanden werden können. Das sah ich als generelle Aussage meines Buches.

Natürlich verbrachte ich kürzere und längere Urlaube überwiegend in den Gegenden Spaniens, wo die Stiere ihre Feste hatten. So "entdeckte" ich im Jahr 1998 José Antonio Morante Camacho -
Morante de la Puebla! Sein Auftritt während einer Nachtcorrida in El Puerto de Santa María kam einer "Epiphanie" gleich. Das Auftreten des blutjungen knapp 19- jährigen Morante löste - wie ein Wunder - bisher nicht wahrgenommene Affekte und Emotionen im Publikum und auch bei mir aus. Er zeigte künstlerische Vollendung in  Leichtigkeit, Natürlichkeit, Aufgehobensein in der Symbiose mit dem Stier.  Der Körper in seiner "Erdenschwere" war vergessen! Es schien mir ein einmaliges Erlebnis zu sein. - Ich war dem "duende" begegnet, der in dieser Augustnacht Morante geleitet hatte. Die Gelegenheiten, in der Gestalt Morantes dem duende zu begegnen, sind selten und umso beglückender.

Es  motivierte mich, ihn als Protagonisten meines Buches zu wählen. Er verkörpert die Kunst der Tauromachie und deren kulturelle Botschaft auf ganz besondere Weise.

SfA: Was ist für Morantistas das Beeindruckende an Morante de la Puebla? Immerhin ist er eine recht launische Erscheinung und seine gelegentliche Lustlosigkeit ist doch eher eine Unverschämtheit dem zahlenden Publikum gegenüber?

Torodora Gorges: Es gibt keine Garantie dafür, Morante mit Regelmäßigkeit auf der Höhe seiner Kunst  anzutreffen. Er lässt sich gewiss von Stimmungen beeinflussen, ist sehr sensibel, lässt sich von seinen Launen vielleicht mehr beeinflussen als andere Personen. Er war eine Zeitlang  an der Ausübung seines Berufs, der für ihn Berufung ist, gehindert. Depressionen schränkten ihn ein.

Nicht alles lässt sich für Geld kaufen. Die Morantistas nehmen Morantes Antagonismen "in Kauf". Ich zahle den Preis für ein Kunstwerk, das flüchtig und unvollkommen sein kann, lediglich einige Momente des erhofften großen Genusses vermittelt. Eine faena ist "a work in process", dieses Kunstwerk ist nicht allein vom Künstler abhängig. Morante scheut das Laue, die Mittelmäßigkeit. Das mutet er dem toro nicht zu. Er verkürzt die faena auf das Notwendige.  Morante nimmt die bronca  des Publikums in der Regel gelassen und respektvoll in Kauf.

Andere toreros zeigen andere Strategien. Sie haben das Ziel, beinahe jeden Stier zu "erziehen", sie setzen ihr Können und ihre Energie ein, um einen "schlechten", ungeeigneten Stier zu "erziehen", sie wollen das Publikum mit ihrer Leistung zufriedenstellen, das ihnen mit Respekt und Anerkennung dankt.  Auch ich respektiere sie und danke ihnen mit Beifall.  Aber sie  begeistern und faszinieren mich nicht annähernd so wie Morante de la Puebla, auch wenn mit seinem duende  nicht regelmäßig gerechnet werden kann.

Dos verónicas  y una media  von Morante mit der capa  ausgeführt, bleiben unauslöschlich in der Erinnerung.
Torodora Gorges präsentiert in Sevilla ihr Buch
SfA: José Tomás oder Morante? Für wen würdest Du Dich entscheiden?

Torodora Gorges: Ich konnte José Tomás an vielen Nachmittagen sehen, solche mit höchster Dramatik und großer Angst um ihn, die meisten triumphal. Ich sah ihn im vergangenen September in Nimes, an einem Sonntag-Vormittag. Allen bleibt dieses große Ereignis, das überirdische, mystische  Dimensionen hatte,  unvergessen. Die Kunst der Tauromachie in ihrer höchsten, sublimsten Vollendung!
 
Eindeutig aber ist meine Entscheidung für José Antonio Morante de la Puebla mit seinen irdischen Schwächen und dem Geheimnis seines DUENDE

SfA: Was denkst Du von antitaurinos?

Torodora Gorges: Ich will niemanden von meiner afición überzeugen. Ich suche keine Konfrontation mit antitaurinos. Die politisch korrekte Verbohrtheit gefällt mir nicht. Ich erlebe die Gegner der corrida de toros als sehr unzugänglich und sehr aggressiv in ihrem "Gutmenschentum". Ich fürchte, sie sähen am Ende lieber den torero als den Stier zu Tode kommen.

SfA: Wie siehst Du die Zukunft der tauromaquia?

Torodora Gorges: Die Spanier bzw. die aficionados der Stiere schienen die Bedrohung ihrer fiesta de toros, ihrer fiesta nacional zunächst nicht so richtig ernst genommen zu haben. Als Deutsche, also als fremde aficionada, wunderte ich mich darüber. Ich hättte gerne mehr "Kampfbereitschaft" bei den spanischen aficionados gesehen. Ihr wunderbares Kulturgut war in Gefahr geraten. Beinahe in letzter Minute sind politische Maßnahmen getroffen worden, die toros vor dem Untergehen zu retten. Die fiesta de toros wird zum Patrimonio Cultural Inmaterial. Damit ist ihrem Verbot ein Riegel vorgeschoben. In Frankreich hat man bezüglich der Rettung sogar schneller reagiert.

Für mich ist Europa ohne den Stier nicht denkbar. Que viva Europa y el toro!

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SIEHE AUCH
Apotheose von Torodora Gorges
Ihre Internetseite: torodoro
Ihr Buch: Morante de la Puebla, Portrait eines spanischen Künstlers