Samstag, 20. Oktober 2012

Bonhoeffer und die Stiere

Ein lutherischer Theologe und die mundo de los toros
___________________________________________________________





von Philip de Málaga


Es war ein besinnlicher, ein literarischer Nachmittag und ich selbst war vertieft in die Biografie über den Theologen Dietrich Bonhoeffer. Als von seiner Reise nach Spanien erzählt wurde stieg, was man wohl nachvollziehen kann, mein Interesse. Und als ich schliesslich auf Seite 30 folgende Zeilen lass, "Dem Stierkampf und seinem Ritus gewann er mehr ab, ...". hielt ich für einen Moment inne, bin ich hier im richtigen Buch? Bonhoeffer und die Stiere?

Ich forschte nach. Und schon gleich entdeckte ich in einer Buchkritik von Martin Dorenkamp: "Der vielfach distanziert und kalt wirkende Bonhoeffer mit seiner Leidenschaft für die frommen Verse von Matthias Claudius, der Begeisterung für den Stierkampf, dem Eintreten für die schwarzen Christen Amerikas und dann wieder dem Hang zur geistlichen Zucht." Bonhoeffer und die Stiere, da scheint wirklich etwas dran zu sein.

Im Februar 1928 reist Dietrich Bonhoeffer im Alter von zweiundzwanzig Jahren nach Katalonien, um dort einen Posten als Vikar in der ausländischen und vorwiegend kaufmännisch orientierten Gemeinde in Barcelona anzutreten. Und obwohl er sich hauptsächlich dem Vereinsleben der deutschen Kolonie widmete, fand er auch Interesse an dem Anderen. Den Weltenbummlern, den Vagabunden, Fremdenlegionären und sogar Tierbändigern, die dem Zirkus Krone auf der Spanienreise verloren gegangen sind. Schon zu Beginn seines Aufenhaltes in Barcelona begegnet er der mundo de los toros. Obwohl es bei seinem ersten Stierkampf zu diesem Zeitpunkt noch viel blutiger zuging als heute, denn damals trugen die Pferde der picadores noch keinen peto, war Bonhoeffer von diesem Spektakel gleich von Beginn an fasziniert. Eine Faszination die sein ganzes Leben anhalten sollte.
Eine Postkarte aus Barcelona: "Mit Matadorengruss"
Am Ostersonntag 1928 nahm ihn und seinen Bruder Klaus ein Lehrer der deutschen Schule mit zu einer corrida de toros. "Ich hatte schon vorher mal eine gesehen und kann eigentlich nicht sagen, dass ich von der Sache so abgeschreckt wäre, wie viele Leute meinen, es ihrer mitteleuropäischen Zivilisation schuldig sein müssen. Es ist doch eine grosse Sache wilde ungehemmte Kraft und blinde Wut gegen disziplinierte Courage, Geistesgegenwart und Geschicklichkeit ankämpfen und unterliegen zu sehen. Der Moment der Grausamkeit spielt doch nur eine geringe Rolle, zumal im vergangenen Stierkampf zum ersten Mal die Pferde Bauchschutz hatten, sodass die entsetzlichen Bilder der ersten corrida fehlten," schrieb Bonhoeffer im April 1928 an seine Eltern.

Es wäre wohl übertrieben Bonhoeffer als einen aficionado de toros zu titulieren. Trotzdem liess er mit seinem Bruder Klaus keine Möglichkeit aus, wo auch immer sie waren, eine corrida zu besuchen. Seine Zwillingsschwester Sabine lehnte die toros dagegen ab: "Nicht einmal geschenkt werde sie sich so etwas ansehen!"

Allein in der Erkenntnis, dass ein lutherischer Theologe sich für die toros begeistern kann, sehen sicherlich nicht wenige einen gewissen Widerspruch. Oder gerade deswegen gerechtfertigt? Schon ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die mundo de los toros sehr mit der katholischen Konkurrenz verbunden war und ist. Mehr noch. Im 16. Jahrhundert, begann mit der Verehrung des Jungfrauenkultes und den Heiligenentdeckungen zu den Stierfesten eine regelrechte Katholisierung der toros. Schliesslich setzte man den Stierkampf auch als ein deutliches Zeichen gegen die protestantischen Bewegungen aus dem Norden ein.

Doch Bonhoeffer sah es vollkommen anders. Nicht mit der Kirche sondern wegen der Kirche. Er sieht in der corrida das Pedant zur sonntäglichen Messe.
__________________________________________________

"Ich denke, es ist kein Zufall, 
das im Lande des düsteren und schroffsten Katholizismus 
gerade der Stierkampf unausrottbar festsitzt." 

Dietrich Bonhoeffer
__________________________________________________

Wieder zurück in Deutschland verliert er nichts an seiner Faszination für die toros. Seinen Schülern in Frankenfelde erzählte er nicht nur über die mundo de los toros, sondern er zeigte ihnen sogar die Manöver mit der capa und der muleta und demonstrierte Ihnen wie man den estoque führt, als ob der embrujo die lutheranische Theologie im alemannischen Gefilde erreicht hat.


___________________________________________________________
Quellennachweise:
EBERHARD RUGE, Dietrich BOnhoeffer, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbeck 1976
WOLF DIETER ZIMMERMANN. Wir nannten ihn Bruder, Wichern Verlag, Berlin 2004
FERDINAND SCHLINGENSIEPEN, Dietrich Bonhoeffer 1906 -1945, Verlag C.H. Beck, München 2005
PHILIP DE MÁLAGA, Der katholische Stier, Juli 2012